„Zu Hause bin ich ganz neutral“

Sebastian Urbanski und Moderator Alexander Wasner bei der Lesung im Glashaus.
Sebastian Urbanski und Moderator Alexander Wasner bei der Lesung im Glashaus vor der Mainzer Silhuette © Holger Rudolph

Sebastian Urbanski liest aus seiner Autobiografie “Am liebsten bin ich Hamlet”

Zu seinen Vorbildern zählen Goethe, Schiller und Bertolt Brecht, Gustaf Gründgens und Klaus Kinski. Am Film-Set zitiert er Aschenputtel, um statt des Doubles seine rechte Schauspielerinnen-Braut zu bekommen. Im Frühjahr erschien nun seine Biografie „Am liebsten bin ich Hamlet“. Bei der Lesung im Mainzer Glashaus stellte Sebastian Urbanski, Schauspieler mit Down-Syndrom, sein Buch vor und berichtete aus seinem Leben.

„Mit Kerzen und Blumen standen wir da und versuchten die Mauer umzuschubsen. Es kamen immer mehr Menschen.“ So beschreibt Urbanski seine Erinnerungen an den Mauerfall und seine Kindheit in der DDR. Obwohl er seine anschließende Jugend im vereinigten Deutschland als die schöne Zeit beschreibt, die ihm letztendlich das Schreiben seines Buches ermöglichte, müssen seine ersten Kindheitsjahre ebenfalls prägend für sein Interesse an Literatur gewesen sein. Als Entwickler für Atomkraftwerke hatte sein Vater freien Zugang zur West-Literatur. Urbanski, Jahrgang 1978, beschreibt ihn als “Held der Arbeit”. Seine Mutter Bettina Urbanski arbeitete jahrzehntelang als Journalistin bei der Berliner Zeitung.

Nichts, wo man Tüten klebt

Seine persönliche Heldin ist Gisela Höhne, Leiterin des inklusiven Theaters RambaZamba in Berlin. Im Jahr 2000 stieß Urbanski zum Ensemble, seit 2001 steht er auf der Bühne. Obwohl er früh begann, mit dem eigenen Puppentheater zu spielen, Filmszenen nachzustellen und Kulissen zu basteln, war der Beruf des Schauspielers nie ein bewusstes Ziel.

Nach seiner Schulzeit besuchte er eine berufsvorbereitende Schule. Seine Mutter erzählt später im Gespräch, sie hätten verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten ausprobiert, aber nach etwas gesucht, dass ihm eine Perspektive bietet: „Nichts wo er den ganzen Tag Tüten klebt“. Über einen alten Freund kamen sie auf das Theater. Nach einem Vorstellungsgespräch bei RambaZamba und einer anschließenden offensichtlich gelungenen ersten Probe konnte er bleiben.

Urbanski wirkt sehr routiniert, er hat plausible, unterhaltende Antworten parat, korrigiert während der Lesung Moderator Alexander Wasner vom SWR, als dieser Urbanskis Filmarbeiten durcheinanderbringt. Vor der Kulisse des Mainzer Panoramas liest er, mit Finger auf dem Papier, aus seinem Buch vor. Einzig das Gutenberg Denkmal sieht man von hier aus nicht, obwohl Urbanski insbesondere deswegen nach Mainz gekommen ist. Schließlich wäre ohne Johannes Gutenberg sein eigenes Buch nicht entstanden: „Es wäre heute nicht so gedruckt worden.“ Mit atmosphärischen Klängen leitet der Film- und Theatermusiker Anton Berman zur jeweils nächsten Passage über, grundiert auch mal einen Lesungs-Auszug dramatisch. Nicht immer zum Wohl der vorgelesenen Szene, doch Urbanski findet es im Nachhinein “eindeutig passend”.

In einer Reihe mit Klaus Kinski und Asta Nielsen

Auch vom Entstehungsprozess seines Buches erzählt Urbanski, das in Zusammenarbeit mit seiner Mutter und der Literaturagentin Marion Appelt entstand. Urbanski unterscheidet zwischen zwei Formen der Arbeit an seinem Buch: Erzählen und Schreiben. „Ich habe erzählt, meine Freunde haben erzählt und Vati hat auch erzählt.“ Bettina Urbanski und Marion Appelt haben geschrieben.

Nach der Lesung signierte Urbanski sein Buch © Holger Rudolph
Nach der Lesung signierte Urbanski sein Buch © Holger Rudolph

Ein Jahr dauerte der Entstehungsprozess. Immer wieder liest Urbanski Korrektur und äußert Kritik. „’Was für ne Sprache’, hab ich dann gesagt. ‚Das sag ich nie, das Wort ist falsch. Der Satz ist falsch. Der ganze Absatz ist falsch. Furchtbar ist das!’“ Seine Mutter erklärt, die Diktion wäre beim ersten Schreiben oft nicht genau getroffen worden. Immer wieder haben sie das ganze Buch mit ihm durchgearbeitet. Er beschreibt die Aufnahmen seiner Erzählungen als Verhöre, die anschließende Schreibarbeit seiner Mutter und Marion Appelt als andauernden Papierkrieg.

Doch er betont, dass die Zusammenarbeit harmonisch verlief. 2014 steht schließlich der Text – doch der Titel fehlt. Es werden bereits die Fotos für das Cover des Buches gemacht, als Urbanski im Gespräch mit dem Fotografen erzählt: „Am liebsten bin ich Hamlet.“ Es ist die Zwiespältigkeit der Figur, die ihn reizt. „Da sind zwei Personen in einem. Hamlet ist ein Schelm. Er stellt sich verrückt. Und ich dachte, wenn sich Schauspieler wie Klaus Kinski und Asta Nielsen um die Rolle reißen, will ich auch in der Reihe stehen.“ Zögerlichkeit und Bescheidenheit haben neben dem starken Selbstbewusstsein wenig Platz.

Fans und Selfies

Vor der Kamera stand er bereits gemeinsam mit Peter Turrini und Gisela Schneeberger. Meist sind diese Arbeiten mit Startschwierigkeiten verbunden. „Gisela Schneeberger musste erst merken, dass sie mit uns genauso reden kann, wie mit allen anderen Menschen, dass wir keine Baby-Sprache brauchen. Dann merkte sie, man kann hervorragend mit uns reden und dann konnte sie auch hervorragend spielen.“

Ablehnung oder Anfeindungen hat er noch nie erfahren. „Das ist ein großes Glück“.
Ein Kapitel seines Buches beschäftigt sich mit einer Filmszene, in der ihn jugendliche Schauspielkollegen einen Mongo nennen. Das fühlte sich so echt und bedrohlich an, dass die Szene nach einem Take im Kasten war.

Oft wird er auf der Straße erkannt, erzählt er im Buch und später auch im Gespräch. Vor allem in Berlin, aber auch im Urlaub auf Rügen, bei Freunden in Bayern. Autogramme wollen die meisten, oder auch Fotos. „Die berühmten Selfies“, wirft die Mutter ein. Urbanski sagt: „Mir macht das wirklich großen Spaß.“ Einmal wird er von einem zuvor noch grölenden Hertha Fan angesprochen „Ich hab großen Respekt vor dir, ich bin dein Fan“ sagt dieser. Urbanski fällt ein Stein vom Herzen, die Bedrohung der Filmszene war sofort wieder präsent.

Vielleicht mal was Politisches

Obwohl er gerne sein Buch verfilmen möchte, stehen als nächstes die Proben zu „Der gute Mensch von Down-Town“ nach Bertolt Brechts “Der gute Mensch von Sezuan” an. Am Samstag kommt die Berliner “Schwestern“-Produktion nach Mainz, in der frei nach Tschechow drei Schauspielerinnen seines RambaZamba-Theaters spielen. Er selbst ist nicht dabei, obwohl ihn die russische Literatur sehr fasziniert. „Puschkin, Tschechow, Tolstoi und Dostojewski. Von Puschkin würde ich gerne mal eine Figur aus ‘Pique Dame’ spielen. Oder eine Figur aus einem russischen Märchen, Väterchen Frost zum Beispiel.“ Er könne sich auch vorstellen, den “Eugen Onegin” nach Tschaikowski zu tanzen.

Wie viele Lesungen er bereits hinter sich hat, weiß er nicht genau. „Wenn ich die alle zählen würde… viele auf jeden Fall.“ Ideen für ein weiteres Buch sind bereits vorhanden. „Ein großes Thema, vielleicht mal was Politisches.“ Schließlich erfährt er gerade, was sein Buch auslöst: „Wenn ich schon haufenweise Autogramme gebe, in verschiedene Städte reise mit dem Buch und alle in den Bann ziehe – da sehe ich mich auch schon als Helden. Mit dem Buch und mit dem Theater, aber zu Hause bin ich ganz neutral.“ Natürlich brauche er dann auch wieder Hilfe. Ein verschmitztes Lächeln wandert zu seiner Mutter. „Soso“ sagt Bettina Urbanski nur. Und hat vermutlich schon den nächsten Papierkrieg vor Augen.