Hinter den Kulissen von Grenzenlos Kultur – Ein Interview

Noa Winter, Produktionsleitung vor Ort in Mainz bei Grenzenlos Kultur vol. 19

 

Noa Winter, 25, studiert im doppelten Masterstudium Theaterwissenschaft an der Johannes-Gutenberg Universität Mainz sowie Dramaturgie an der Goethe-Universität Frankfurt. Bei der 19. Auflage des ältesten inklusiven Theaterfestivals Deutschlands ist sie fester Bestandteil des Teams. Im Vorfeld des Festivals habe ich mit ihr über die Arbeit am Festival und die Bedeutung inklusiven Theaters gesprochen.

 

Du bist jetzt im dritten Jahr Teil des Teams rund um Grenzenlos Kultur. Was genau ist dein Aufgabengebiet?

Meine offizielle Bezeichnung ist „Produktionsleiterin vor Ort“, wobei das „vor Ort“ insofern wichtig ist, dass Grenzenlos Kultur von der Lebenshilfe Kunst und Kultur gGmbH organisiert wird und es dort eigentlich eine Produktionsleiterin – Silke Stuck – gibt, die sich aber in diesem Jahr vor Ort von mir vertreten lässt. Konkret heißt das, dass sie den Großteil der Vorbereitungen über Monate hinweg gemacht hat. Hier vor Ort übernehme ich jetzt die Organisation, koordiniere die HelferInnen und treffe Absprachen mit dem Haus, der Öffentlichkeitsarbeit, dem Kostüm, der Maske, etc.

Wie bist du zu dem Job bei Grenzenlos Kultur gekommen?

Ich kannte das Festival schon vorher und habe mich einfach beworben, als vor zwei Jahren im Sommer Künstler-Betreuer gesucht wurden. Ich habe schon viele Theater-Praktika gemacht, aber mich hat das inklusive Theater interessiert, da ich früher auch mit Theaterpädagogik zu tun hatte und mich wissenschaftlich viel mit dem Disability-Thema auseinandersetze. Ich habe dann als Künstler-Betreuerin angefangen, war letztes Jahr Assistenz der Produktionsleitung und dann hat sich das so entwickelt.

Du hast deine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema erwähnt. Verbindet dich auch persönlich etwas mit dem Festival?

Sowohl durch meine Bachelorarbeit als auch durch meine Arbeit zieht sich das Thema, auch wegen meiner eigenen Behinderung. Dass ich spezifisch hier beim Festival dabeigeblieben bin, liegt daran, dass ich hier sehr gerne arbeite. Es ist familiär und nicht hierarchisch, wie bei anderen Festivals oder im Theater. Hier ist es angenehm, auch weil man direkt im ersten Jahr Eigenverantwortung übernimmt. Man ist nah dran und sitzt nicht nur sechs Wochen bei Proben dabei. Das sind Arbeitszusammenhänge, die ich mag, wo man nicht rumsitzt und zuschaut, sondern wirklich was tun kann.

Grade hast du deine eigene Behinderung angesprochen.

Die Diagnose lautet Fibromyalgie. Übersetzt heißt das Muskelfaserschmerz. Ich habe chronische Schmerzen: mal stärker, mal weniger stark. Durch die Schmerzen kann ich beispielweise nicht per Hand schreiben und bin auf einen Laptop angewiesen. Generell ist es so, dass ich durch die Schmerzen – grade, wenn sie sich ins Gesicht ziehen – teilweise Einschränkungen beim Sehen oder Hören habe. Außerdem bin ich viel schneller müde, muss auf vieles achten und die stressigen Arbeitsabläufe am Theater sind für mich eine viel größere Anstrengung.

Hattest du schon Kontakt zu den Künstlern? Wie läuft die Zusammenarbeit ab?

Manchmal per E-Mail im Vorkontakt, wobei das meistens über Silke lief. Generell läuft es nach dem Prinzip, dass wir die Künstler abholen, wenn sie ankommen: am Bahnhof, am Flughafen. Es ist sehr unterschiedlich, wie betreuungsintensiv die Gruppen sind. Manche kommen alleine, wie Lukas de Man, er braucht keine große Betreuung. Dann gibt es größere Gruppen, die viel mehr Betreuung oder wie ADHOK sehr viele Lebensmittel brauchen, die man einkaufen muss, da sie in ihrer Performance mit Lebensmitteln spielen.

Eröffnungsfeier im Foyer des Kleinen Hauses, Staatstheater Mainz

Apropos ADHOK: Für die verschiedenen Gruppen, die aus dem Ausland kommen, also Frankreich, Russland, Serbien, Großbritannien – gibt es da Dolmetscher?

Da haben wir einen Helfer, der sehr gut Französisch kann. Im Notfall geht es auch mit Hand und Fuß. Französisch ist aber meistens machbar. Dieses Jahr haben wir mit dem Upsala Circus das Glück, dass wir eine Helferin dabeihaben, die Russisch kann. Da war sofort klar, dass sie dafür eingesetzt wird. Aber wir haben zum Beispiel niemanden der Serbisch kann. Englisch geht in der Regel aber ganz gut.

Und wie sieht es mit dem Staatstheater aus? Der normale Theaterbetrieb läuft teilweise ganz normal weiter. Gibt es Reibungspunkte oder Spannungen?

Es muss sich immer einspielen. Aber man muss sagen, dass uns viele Abteilungen hier entgegenkommen und sich immer eine Lösung findet. Die Kostümabteilung beispielsweise, die uns sehr entgegenkam was Garderoben angeht. Das Problematischste war für uns ein Büro zu finden. Wir haben dieses Jahr diesen Konferenzraum hier im Erdgeschoss bekommen. Letztes Jahr haben wir uns mit den Regieassistenten das Büro geteilt, was sowohl für die als auch für uns sehr anstrengend war. Das ist nun mal so, wenn man Gast in einem Haus ist, man muss gucken, wo man hinpasst.

Also nehmen die anderen Abteilungen hier am Haus das Festival gut an?

Ich habe noch nichts Negatives mitbekommen. Die Dame vom Kostüm meinte tatsächlich, wir wären unkomplizierter als die riesigen Tanzkompanien, die sehr hohe Ansprüche haben. Das ist der Vorteil an unseren Gruppen, dass sich die Ansprüche in Grenzen halten und dass wir ein bisschen abfedern, weil immer jemand dazwischensteht. Außerdem haben wir einen technischen Leiter für das Festival und zwei Techniker, die die Haustechnik zusätzlich unterstützen.

Und wie nimmt die Öffentlichkeit der Stadt das alles auf? Wer besucht das Festival, sind das unterschiedlichste Leute oder die typischen Theatergänger?

Die Öffentlichkeit ist sehr aufgeschlossen. Man muss dazusagen, dass das die 19. Version innerhalb von 20 Jahren ist. Es ist schon so, dass viele Leute wiederkommen, grade bei Gruppen wie Rambazamba, die es sehr lange gibt und die die Leute kennen. Klar, bei kleineren Gruppen oder Künstlern ist das anders. Das Einzige, was ich persönlich schade finde ist – aber das ist bei uns insgesamt nicht etabliert –, dass wir kein großes inklusives Publikum haben. Das sind eher Standard-Theatergänger, vielleicht ein paar Leute, die pädagogisch interessiert sind. Wir versuchen da mehr zu machen, aber das ist ein ziemlich großes Ding.

Warum findest du sind inklusive Theaterveranstaltungen wichtig? Inwiefern ist es auch wichtig der Öffentlichkeit inklusives Theater näher zu bringen?

Inklusives Theater ist wichtig. Gerade in Deutschland kann man sich viel von ausländischen Gruppen abgucken. Es wird zwar immer von der UN-Behindertenrechtskonvention gesprochen und theoretisch sollte jeder Mensch mit jeder Behinderung jede Möglichkeit haben, aber in der Praxis ist das nicht so. Deswegen ist es relevant, dass es Möglichkeiten gibt. Über inklusive Ensembles wird gesprochen, aber die Möglichkeit, Theater zu machen, also Regie, Dramaturgie, Produktion, was auch immer: das inklusiv zu gestalten, da gibt es kaum Ansätze. Deswegen ist da noch viel zu tun. Was das Zeigen angeht ist es wichtig, dass Menschen überhaupt damit in Kontakt kommen, weil es viele Leute gibt, die noch nie mit einem behinderten Menschen in Berührung gekommen sind. Deshalb haben sie dem Thema gegenüber Vorbehalte, weil sie unsicher sind. Dann kann Theater ein erster Kontakt sein, weil die Menschen auf der Bühne stehen, aber trotzdem im Blick. Das ist einer der Vorteile, da wir im Staatstheater sind: Es sitzen viele Leute mit Abonnements hier und sehen dadurch die Festivalproduktionen. Das Festivalformat im Staatstheater knüpft natürlich an die Hoffnung, dass sich dort etwas ändert. Die Schauspieler mit Behinderung an Stadt- und Staatstheatern kann man an einer Hand abzählen. Ich kenne genau drei. Aber das ist die absolute Seltenheit. Man hofft zumindest, dass sich langfristig etwas ändert, vielleicht auch im Theater. Aber ich habe so das Gefühl, das wird noch sehr, sehr lange dauern bis sich sowas wirklich etabliert.