Wie nicht von dieser Welt

Linda Fisahn © Holger Rudolph

Die Gruppe I can be your translator zeigen mit „Einstein“ einen schwebenden Abend über Anderssein, Identität, Leben, Tod und die Relativitätstheorie

Über die Zeit wollen sie also sprechen, und über die Relativitätstheorie, erklären die Schauspieler des Kollektivs „I can be your translator“ zu Beginn. Da haben sie sich viel vorgenommen, und ihr Versprechen halten sie auch, denn sie reden viel. Einen wissenschaftlich informativen Abend darf der Zuschauer von ihrem neuen Projekt „Einstein“ nicht erwarten. Vielmehr jonglieren die sieben Schauspieler mit Gedankenfetzen. Stück für Stück entsteht ein Mosaik, das kein konkretes Bild ergibt, sondern versucht ein Phänomen einzufangen: das Verhältnis zwischen Mensch und Zeit.

Im Strom der Zeit: das “Einstein”-Ensemble © Holger Rudolph

Den ganzen Abend über wabert eine Spannung über den Köpfen der Schauspieler, die den recht vagen Text umhüllt. Dieser setzt sich aus einzelnen Miniaturen zusammen: Lis Marie Diehl, eingesprungen für den erkrankten Bastian Ostermann, erklärt im Stile eines Internet-Tutorials, wie man eine Brille für die Sonnenfinsternis bastelt. Linda Fisahn sinniert über das Zwillingsparadoxon: Eine Zwillingsschwester reist ins Weltall und kehrt nach wenigen Tagen zurück. Wieder auf der Erde stellt sie fest, dass die andere Schwester in der Zeit viel älter geworden ist.

Ein Geflecht aus Licht, das alles zu verbinden scheint

All diese Anekdoten werden in den Raum gestellt und verbleiben dort kurz, um dann wieder im Nichts zu verschwinden. Es gibt kein Narrativ, nur Momentaufnahmen. Mal erzählen die Schauspieler abwechselnd, mal reden sie durcheinander, oft schweigen sie auch einfach nur. Sie alle scheinen wie aus der Zeit gefallen, vielleicht sind sie auch gar nicht von dieser Welt. So wirken jedenfalls die schwarzen Kostüme mit weißen, an Fieberkurven oder Schallwellen erinnernden Ornamenten und die Kopfhörer, die jeder Schauspieler trägt. Wir wissen nicht, was sie darüber empfangen. Es könnten Texte und Regieanweisungen sein, genauso gut aber auch Zeichen aus einer anderen Dimension, die wir nicht sehen können und die doch alles zusammenhalten.

Auch Bühnenbild und Licht weisen auf eine andere Welt hin: an den Seiten Stelen, auf denen sich bewegliche Spiegel befinden, ein Mischpult im Hintergrund, Rollhocker, auf denen die Darsteller sich vor- und zurückbewegen und zahlreiche Instrumente. Das Licht der Deckenscheinwerfer fällt auf die Spiegel, wird dort reflektiert und scheint durch den Nebel hindurch. So entsteht besonders gegen Ende ein Geflecht aus Licht, das alles zu verbinden scheint.

Julia Hülsken am Cello © Holger Rudolph

Genau so stark wie der Text macht auch die Musik die Atmosphäre des Abends aus. Schwebend zwischen Klassik, Avantgarde und Minimal Music, von den Schauspielern live interpretiert auf Cello, Geige, Querflöte und Klavier, bilden sich immer wieder neue Klangteppiche, manchmal unterstützt von summendem Gesang. Fetzen von Popmusik dringen durch ein Konzert von Xylophonen. Nur kurz können die Zuschauer erahnen, was in diesem Moment in den Schauspielern vorgeht. Da beginnt Kathrin Eckhoff plötzlich zu singen, zu Musik, die wir nicht hören. Anna Reizbikh erzählt, warum sie anders als die anderen ist: Sie isst Kassler mit Senf zum Frühstück.

Sprache, Musik, Schweigen

Diese Absurditäten werden von niemandem weiter kommentiert, sowieso scheint jeder Schauspieler in Gedanken weit weg zu sein. Es entstehen keine richtigen Dialogsituationen, die Künstler interagieren auf andere Art und Weise miteinander. So spult Laurens Wältken ein Tonband ab und reicht das dünne Band an seine Mitspieler weiter, bis alle miteinander verbunden sind. Ein schönes Bild für die Stärke des Abends: Sprache, Musik und Schweigen wechseln sich ab, fließen zusammen und lösen sich wieder voneinander. Die sieben Akteure bilden eine Allianz, die wir nicht immer verstehen können. Es scheint Verbindungen zu geben, die im Dunklen bleiben, geheimnisvoll entrückt.

Trotz des anspruchsvollen Themas gerät der Abend nie belehrend. Themen wie Anderssein, Identität, Leben und Tod, werden immer nur kurz und unaufdringlich angeschnitten. Es ist den Zuschauern überlassen, eine Botschaft zu finden. Und das ist, was „Einstein“ so intensiv macht: Statt den Zuschauern alles vorzukauen, bleiben stille Angebote im Raum, auf die man sich einlassen kann, aber nicht muss. Es gibt nicht die eine Botschaft, mit der jeder Zuschauer nach Hause gehen muss. Stattdessen zeigen „I can be your translator“ eine stille Welt, in der die Zeit alle Fäden zusammenhält und die Relativitätstheorie eine moderne Zauberformel ist.